Dagmar Borchard

Sinologie und Rechtswissenschaften

Das chinesische Recht bildet bisher an den Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz weder in der Sinologie noch in den Rechtswissenschaften ein Schwerpunktgebiet in Lehre und Forschung. Allerdings werden fundierte Kenntnisse des chinesischen Rechts, vor allem des chinesischen Wirtschaftsrechts im Zuge der engeren politischen und wirtschaftlichen Kontakte immer wichtiger. Für einen "Volljuristen" (2 juristische Staatsexamina) mit Kenntnissen der chinesischen Sprache und des chinesischen Rechts eröffnen sich vielfältige berufliche Möglichkeiten: vom Anwalt über Beratungstätigkeiten in Unternehmen und Verbänden bis hin zur diplomatischen Laufbahn.

Sinologie kann mit Rechtswissenschaften kombiniert werden, indem im Rahmen des Magisterstudienganges Sinologie ein Fach aus den Rechtswissenschaften als Nebenfach gewählt wird. Sinologie/ Rechtswissenschaften kann auch als Doppelstudium mit zwei Studienabschlüssen (Magister, Staatsexamen) studiert werden.

Nebenfach Rechtswissenschaften im Rahmen des Magisterstudienganges Sinologie

Ein Fach aus den Rechtswissenschaften (z.B. Internationales Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Staats- und Verwaltungsrecht) kann an einigen Universitäten als Nebenfach im Rahmen des Magisterstudienganges Sinologie studiert werden. Dazu haben einige juristische Fachbereiche bereits Prüfungsordnungen für Nebenfachstudenten erlassen. An einigen Universitäten ohne Nebenfach-Prüfungsordnung besteht nach Rückfrage mit dem juristischen Fachbereich die Möglichkeit, sich ein Fach aus den Rechtswissenschaften als Nebenfach für den Magisterstudiengang genehmigen zu lassen. Ob ein Nebenfachstudium Rechtswissenschaften im Rahmen der Sinologie möglich ist, muss jeweils bei der Universität der Wahl erfragt werden.

Doppelstudium Sinologie und Rechtswissenschaften

Wer einen Abschluss in Sinologie und Rechtswissenschaften anstrebt, muss ein echtes Doppelstudium oder ein Zweitstudium absolvieren. Ob dann zuerst Sinologie und anschließend Rechtswissenschaften oder umgekehrt oder gar beide Fächer parallel studiert werden, hängt von persönlichen Vorlieben und insbesondere von der persönlichen Belastbarkeit ab. Die Chance auf eine interessante und qualifizierte Arbeit ist nach einem Jura-Studium weitaus höher als nach einem Sinologie-Studium. Wer sich nicht der Forschung und Wissenschaft verschreiben mag, sollte dem Jurastudium den Vorzug geben und "lediglich" die chinesische Sprache erlernen. An der Universität Passau gibt es ein besonders auf Juristen ausgerichtetes Chinesisch-Sprachstudium (unten ausführlich beschrieben). Zeitaufwand und Mühe für das Erlernen der chinesischen Sprache und für die Examensvorbereitungen in Jura sollten allerdings nicht unterschätzt werden. Insbesondere wer eine praktische juristische Tätigkeit z.B. als Anwalt im China-Geschäft anstrebt, sollte den Schwerpunkt auf das Jura-Studium legen, ein Sinologie-Studium stellt unter den harten Bedingungen der freien Wirtschaft nicht immer eine Zusatzqualifikation dar. Eher sollte eine Promotion in Jura zum chinesischen Recht ins Auge gefasst werden.

Nach dem Jurastudium kann ein einjähriger Studienaufenthalt zum Spracherwerb und zum Studium des chinesischen Rechts an einer chinesischen Universität absolviert werden. Um Stipendien nach dem 1. oder auch nach dem 2. juristischen Staatsexamen kann man sich beim DAAD bewerben, die Finanzierung als Selbstzahler ist ebenfalls möglich. Die Universitäten Göttingen und Passau haben bereits Austauschprogramme mit den Rechtsfakultäten chinesischer Hochschulen. Im Rahmen der Referendarausbildung können einzelne Ausbildungsabschnitte in der VR China, Taiwan, Hongkong oder Singapur (z.B. in einer deutschen Anwaltskanzlei in Beijing oder Shanghai, bei einer Deutschen Botschaft oder einem Konsulat) absolviert werden.

Das chinesische Recht an den deutschen Universitäten

Bisher ist nur an einer Universität (nämlich der Universität Köln) eine Professur für chinesisches Recht eingerichtet worden, Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter fehlen bisher. An einigen wenigen Universitäten werden im Fach Sinologie vereinzelt und in unregelmäßigen Abständen Lehrveranstaltungen zum chinesischen Recht, vornehmlich zum chinesischen Wirtschaftsrecht angeboten. An der Universität Freiburg lehrt der Rechtssinologe Prof. Dr. Dr. Harro von Senger, der regelmäßig Lehrveranstaltungen zum chinesischen Recht anbietet.

Regionalwissenschaften/China an der Universität Köln

An der Universität Köln wird seit dem WS 1989/1990 der neue Diplom-Studiengang Regionalwissenschaften/China angeboten. Seit 1992 ist Prof. Dr. Robert Heuser Professor für "Chinesische Rechtskultur" an der Universität Köln. Der Studiengang ist ein Gemeinschaftsprojekt der Philosophischen Fakultät, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und der Rechtswissenschaften. Es sollen in zwei systematischen Fächern, die regionalwissenschaftlich auf China angewandt werden, theoretische und methodische Kenntnisse erlangt werden. Im Rahmen des Studienganges (Regelstudienzeit einschl. Dipl.-Prüfung 9 Semester, insgesamt 168 Semesterwochenstunden, Studienbeginn jeweils zum WS) kann wahlweise die chinesische Rechtskultur (16 SWS) studiert werden. Die Vorlesungen und Seminare bieten eine Einführung in die chinesische Rechtskultur, Rechtsgeschichte, das Zivil- und Wirtschaftsrecht, das Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht. Darüberhinaus kann wahlweise das Studium der Rechtswissenschaften (insg. 19 SWS) mit Leistungsnachweisen in den Übungen im Zivil- und Öffentlichen Recht sowie in den Grundkursen Handels-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht belegt werden. Das Studium "Chinesische Rechtskultur" soll auf Tätigkeiten in der freien Wirtschaft (z.B. als China-Referent), bei Verbänden, Institutionen und Unternehmen vorbereiten.

Informationen: Moderne China-Studien, Dürener Str. 56-60, 50931 Köln, Tel.: 0221 - 40072-122 (Chinesische Rechtskultur)

Lehrveranstaltungen zum chinesischen Recht im Studiengang Wirtschaftssinologie an der Hochschule Bremen und im Studiengang Wirtschaftswissenschaften an der Universität/GH Duisburg

Im Rahmen des Studiengangs Wirtschaftsinologie an der Hochschule Bremen und im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Uni-GH Duisburg geben Blockseminare von Praktikern, die in unregelmäßigen Abständen abgehalten werden, einen Überblick über das chinesische Rechtssystem und das Wirtschaftsrecht der VR China gegeben. Weitere Themen der Veranstaltungen sind z.B. Verhandlungsführung und Vertragsgestaltung im Wirtschaftsverkehr mit der VR China.

Informationen: Studiengang Wirtschaftssinologie, Hochschule Bremen, Werderstr. 73, 28199 Bremen, Tel.: (0421) 5905-123/124; e-mail: schaedler@fbw.hs-bremen.de; www.fbs.hs-bremen.de

Institut für Ostasienwissenschaften, Universität-GH Duisburg, Postfach 101503, 47048 Duisburg, Tel.: (0203) 379-2521 (Fachbereich Wirtschaftswissenschaften); e-mail: oawiss@uni-duisburg.de; http://info.uni-duisburg.de

Chinesische Sprache für Studenten der Rechtswissenschaften an der Universität Passau

Die Universität Passau bietet für Studenten der Rechtswissenschaften eine fachspezifische Fremdsprachenausbildung in der chinesischen Sprache an. Die Sprachausbildung findet neben dem Jura-Studium statt. Eine Anrechnung der Fremdsprachenprüfung als Leistungsnachweis gem. § 13 Abs. 2 bay JAPO (Zulassungsvoraussetzung für das 1. juristische Staatsexamen) ist möglich. Zusätzlich werden je nach Kapazität Lehrveranstaltungen zum chinesischen Recht angeboten (Prof. Dr. Ulrich Manthe). An der Universität Passau werden einige Dissertationen zum chinesischen Recht betreut. Die Universität unterhält Austauschbeziehungen zur Ostchina-Hochschule für Politik und Recht (Huadong Zhengfa Xueyuan) in Shanghai und zur Sun-Yatsen-Universität (Zhongshan Daxue) in Guangdong, an die erfolgreiche Absolventen entsandt werden können.

Informationen: Sprachenzentrum Universität Passau, Innstr. 40, Postfach 2540, 94030 Passau, Tel.: (0851) 509-145; http://rz.uni-passau.de

Chinesisches Recht an der Universität Göttingen

Seit einiger Zeit ist Dr. Frank Münzel (Max-Planck-Institut für ausl. und int. Privatrecht in Hamburg) Honorarprofessor an der Universität Göttingen und bietet bei Interesse nach Absprache Vorlesungen zum chinesischen Recht an. 1989 hat die Universität Göttingen gemeinsam mit der Nanjing Universität, Nanjing, VR China das Deutsch-Chinesische Institut für Wirtschaftsrecht an der Universität Nanjing gegründet. Das Institut bildet chinesische Studenten mit einem abgeschlossenen Universitätsstudium in einem dreijährigen Studium im deutschen Zivil- und Wirtschaftsrecht aus. Neben der Vermittlung deutscher Rechtskenntnisse in China versteht sich das Institut als Forschungseinrichtung zum chinesischen Zivil-, Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht und bietet mit einer großen Bibliothek ideale Bedingungen für Deutsche zum Studium des chinesischen Rechts. In Verbindung mit dem Nanjinger Institut gibt die Deutsch-Chinesische Juristenvereinigung e.V. einen sehr informativen Newsletter mit aktuellen Informationen und Aufsätzen zum Recht der VR China heraus. Rechtsreferendare können ihre Wahlstation am Institut absolvieren.

Informationen: Nanjing University, German Chinese Institut of Economic Law, 11 Hankou Lu, 210093 Nanjing, Fax 0086253607892; Informationen auch über den deutschen Institutsdirektor: Prof. Dr. W. Sellert, Platz der Göttinger Sieben 6, 37073 Göttingen

Das Institut wird in folgenden Zeitschriften vorgestellt: Neue Juristische Wochenschrift 1995, 1204; das neue China Nr. 4/ Dezember 1994, 28

Forschung zum chinesischen Recht

Forschung zum chinesischen Recht wird gegenwärtig in Deutschland außer an Universitäten vor allem an den Max-Planck-Instituten betrieben (MPI für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg, Dr. F. Münzel; MPI für ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg; MPI für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg; MPI für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht, München, Prof. Dr. A. Dietz; MPI für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht, München), in der Schweiz am Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung in Lausanne-Dorigny (Prof. Dr. Dr. H. v. Senger).

Die Fachbibliotheken der MPI und des Schweizerischen Instituts beherbergen umfangreiche Literatur zum chinesischen Recht.

Adressen der MPI und des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung in: Harro von Senger/Leo Bachmann: Sinologie. Beiträge zu Studium und Praxis. Hrsg. Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Akademische Studien- und Berufsberatung. Luzern 1990

Den Forschungsstand zum chinesischen Recht bis Mitte der 70er Jahre beschreiben: Kaminski/Weggel: Das chinesische Recht in der bundesdeutschen Forschung. Sonderdrucke des Instituts für Asienkunde Nr. 50, Hamburg 1976

Wichtige Literatur (* = zur Anschaffung empfohlen)

* Heuser, Robert: Einführung in die traditionelle chinesische Rechtskultur. Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Nr. 315, Hamburg 1999 ist eine für Studienanfänger besonders geeignete Einführung in das traditionelle und moderne chinesische Recht. Neben einer kurzen Beschreibung der Charakteristika des traditionellen chinesischen Rechtssystems werden alle Rechtsgebiete des gegenwärtigen Rechts der VR China behandelt. Zu jedem Themengebiet findet sich auch eine ausführliche Zusammenstellung mit weiterführender Literatur.

* Senger, Harro von: Einführung in das chinesische Recht. Schriftenreihe der Juristischen Schulung Heft 124, München 1994 bietet ebenfalls eine umfassende (wenn auch nicht mehr auf dem aktuellsten Stande) Einführung in das chinesische Rechtssystem. Der Schwerpunkt liegt auf der Wechselwirkung zwischen Partei, Ideologie und Recht.

* Ch'ü, T'ung-tsu: Law and Society in Traditional China. 1961 ist bereits Anfang der sechziger Jahre erschienen, aber immer noch ein sehr lesenswertes Standardwerk.

Eine hervorragende Einführung in das traditionelle chinesische Strafrecht bietet die äußerst kurzweilige Lektüre der Kriminalfälle des historischen Richters Di aus der Song-Zeit, geschrieben von dem holländischen Sinologen, Juristen und Diplomaten Robert van Gulik, erschienen im Diogenes-Taschenbuchverlag. Van Gulik orientiert sich bei seinem Helden Di an alten historischen Quellen und malt ein lebendiges Bild des traditionellen chinesischen Gerichtswesen und Strafprozesslebens.

Verwiesen sei noch auf zwei Standardwerke zur Rechtsvergleichung mit Darstellungen der großen Rechtssysteme der Welt, darunter auch jeweils eine kurze, lesenswerte Einführung in das chinesische Rechtssystem:

Konrad Zweigert/Hein Kötz: Einführung in die Rechtsvergleichung. 3. neubearbeitete Auflage, Tübingen 1996

David/Grassmann: Einführung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart. 2. Auflage, München 1988

Zeitschriften zum chinesischen Recht in westlichen Sprachen:

Newsletter der Deutsch-Chinesischen Juristenvereinigung: Die Deutsch-Chinesische-Juristenvereinigung gibt in Verbindung mit dem Deutsch-Chinesischen-Institut für Wirtschaftsrecht einen mehrmals im Jahr erscheinenden Newsletter heraus, in dem Aufsätze zu aktuellen Problemen des chinesischen Zivil-, Arbeits-, Prozess- und Wirtschaftsrecht von deutschen und chinesischen Wissenschaftlern zu finden sind. Mitglieder der Deutsch-Chin. Juristenvereinigung erhalten den Newsletter für ihren Jahresbeitrag.

China Law & Practice: herausgegeben von Asia Law & Pactice Publishing Ltd., Hongkong ist eine für Praktiker (Anwälte, Consultants) äußerst wichtige Zeitschrift, die schnell und zuverlässig über die neuesten Entwicklungen des chinesischen Rechts informiert. Die monatlich erscheinende Zeitschrift ist sehr teuer und aufgrund des hohen Abonnementspreises nur in sehr wenigen deutschen Bibliotheken erhältlich.



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